Pressemitteilung des Kreisverbandes, 02.03.2015.
Die im Herbst 2014 im Rahmen eines eRadschnellweg-Förderprogramms umgebaute Kreuzung Weender Tor in Göttingen ist vermutlich die radverkehrsreichste Kreuzung im Umkreis von mehreren hundert Kilometern, wahrscheinlich bis Münster oder bis zur niederländischen Grenze.
In der kurzen Planungsphase vor dem Umbau im Herbst 2014 wurden der Stadt von Öffentlichkeit und Fahrrad-Interessenverbänden schriftlich detaillierte Empfehlungen übermittelt, die weitgehend ignoriert wurden. Darin wurde vor absehbaren Planungsmängeln gewarnt.

Unter anderen wurde dringend geraten, vor dem Umbau Radverkehrszählungen durchzuführen. Eine derart vielbefahrene Kreuzung kann nicht bedarfsgerecht umgebaut werden, wenn man nicht weiß, welche Verkehre überhaupt zu bewältigen sind.
Auch dies wurde ignoriert. Die PIRATEN werfen der Stadt vor, die Kreuzung blind ohne detaillierte Kenntnisse der Radverkehrsströme umgebaut zu haben.
Nach dem Umbau beobachteten die PIRATEN, dass etliche der vorausgesagten Planungsmängel eintraten.
Daraufhin führte die Arbeitsgruppe Ampelpiraten im November eigene Radverkehrszählungen durch. Ermittelt wurden in über 30 Stunden vor Ort zwölf kreuzungsquerende Radverkehrsströme sowie zwölf weitere Ströme des zu- und abfließenden Radverkehrs. Im Ergebnis liegt jetzt ein detailliertes Bild über die unterschiedlichen Verkehrsströme zu den unterschiedlichen Tageszeiten vor.
Radverkehrsströme am Weender Tor nach Messungen der Ampelpiraten, November 2014
Im Jahresdurchschnitt überqueren nach unseren Hochrechnungen 12.200 Fahrräder täglich diese Kreuzung. Abzüglich Ferienzeiten und Wochenenden bedeutet dies eine Belastung im Semester von etwa 20.000 Fahrrädern pro Werktag – jeder sechste Göttinger fährt jeden Werktag einmal mit dem Fahrrad über diese Kreuzung.
An über 140 von 440 Ampeltaktphasen am Tag stellen sich auf der Südseite der Kreuzung 11 oder mehr Fahrräder gleichzeitig mit dem Ziel Uni auf – über 30mal am Tag sind es mehr als 20 Fahrräder, zu Stoßzeiten mehr als 40. Die hierfür vorgesehene Aufstellfläche ist zu eng, die markierte Radspur über die Kreuzung nur 1,50 Meter breit.
Der gleichzeitig startende Gegenverkehr fährt über einen zu schmalen Fußweg mit gefährlichen Bodenrillen – während gleichzeitig die links in den Nikolausberger Weg abbiegenden Autos schon halb in den Fahrrad-Fußgängerstrom hineinfahren.
Die Hauptprobleme nach dem Umbau sind folgende:
– Ein Großteil des vorher regelkonformen Verkehrs quert die Kreuzung nun regelwidrig.
– Der Radschnellweg wird vor dem Opelhochhaus nicht als solcher wahrgenommen.
– Der Radweg bergauf zur Goßlerstraße wird nicht mehr genutzt als der Gehweg vorher.
– Die Aufstellflächen, Auffahrten auf Radwege und Spurbreiten sind zu eng bemessen.
– Die Spurenführung auf der Verkehrsinsel wird vom Radverkehr nicht angenommen.
– Die Induktionsschleife vor dem Opelhochhaus ermittelt systematisch falsche Zahlen.
– Etliche neue Unfallursachen wurden geschaffen, die Kreuzung ist gefährlicher geworden.
Vier von zwölf kreuzungsquerenden Verkehrsströmen sind regelwidrig, insgesamt fährt 29 % des Radverkehrs illegal über das Weender Tor. Noch nie sind in Göttingen so viele Fahrräder pro Zeiteinheit regelwidrig gefahren. Wäre das seit 1965 schon so und für jede illegale Querung 10 Euro kassiert worden, hätte die Stadt heute 0,7 Millarden Euro mehr in der Kasse.
Hauptursache für diesen Mißstand ist das nach dem Umbau neu eingeführte und unsinnige Verbot der ostseitigen Querung vom Opelhochhaus zum AudiMax.
Wir weisen im Detail nach, dass der teure Umbau die Ziele nicht erreicht hat und damit ein Flop war, und dass die Situation danach noch schlimmer ist als vorher. Die unübersichtliche Menge an Radwegmarkierungen, unterschiedlichsten Linien, Pfeilen und weissen Leitsystemen für Sehbehinderte verwirrt nur und wird weder von Fußgängern noch von Radfahrern beachtet.
Die Kreuzung hätte nicht umgebaut werden dürfen. Der Bauausschuss hätte nicht zulassen dürfen, dass der vorher auf der Straße geführte Radverkehr vom Nikolausberger Weg bergab Richtung Bahnhof in den Knotenpunkt vor dem Opelhochhaus geleitet wird. Die vorige Lösung war bedarfsgerechter und sicherer.
Die PIRATEN werfen der Stadt Geldverschwendung vor.
Vor allem lässt es sich nicht entschuldigen, wenn Verbände und Initiativen vorher schriftlich auf drohende Fehlplanungen hinweisen, die von der Stadt komplett ignoriert werden und hinterher prompt eintreten.
Für weitere Planungsabschnitte des eRadschnellweg-Projekts sind deutlich strengere Maßstäbe anzulegen. In dieser Planungsqualität kann es nicht weitergehen.
Die PIRATEN schlagen vor, die Gelder für die weiteren Planungsabschnitte solange einzufrieren, bis die Planungsmängel am Weender Tor behoben sind, insbesondere:
– Legale Führung der Verkehrsströme, vor allem Legalisierung des starken Radverkehrsstroms am AudiMax vorbei zum Carré. Dieser Radverkehrsstrom lässt sich weder abstellen noch umleiten – und vor dem AudiMax ist genug Platz.
– Wegnahme der gefährlichen Rillenkacheln, die bei Roller-Skates und Fahrrädern mit schmalen Reifen zum Sturz führen können.
– Ausreichend breite Aufstellflächen und Wegführungen für den Radverkehr, besonders auf der Ostseite.
– Breitere barrierefreie Auffahrtzonen auf Hochbord-Radwege.
– Geradlinige Radwegführungen ohne Verschwenkungen, auch auf der Verkehrsinsel.
– Rückführung des bergab fahrenden Radverkehrsstroms Nikolausberger Weg-Berliner Straße auf die Fahrbahn, so wie es vorher war.
– Offenlegung und Optimierung der Ampelschaltung, die immer noch Fehler aufweist.
Anlagen:
A – Benötigter Platz als Aufstellfläche für Fahrräder.
Zu berücksichtigen ist, dass Fahrräder besonders am Nachmittag häufig geschoben werden und bei der Aufstellung noch mehr Platz benötigen als Fahrräder, die gefahren werden. Dies gilt insbesondere für den Verkehr Openhochhaus-AudiMax.
Ermittelte Zahlen von Fahrrädern, die an Donnerstagen im November 2014 pro Tag bei durchschnittlichem Wetter zwischen 7 und 18 Uhr in 440 Rotphasen vor der Nord-Süd-Kreuzungsquerung aufgestellt wurden (geschobene Fahrräder mit berücksichtigt).
AudiMax-Opelhochhaus (Aufstellfläche AudiMax):
über 10 Fahrräder: 143
über 20 Fahrräder: 32
über 30 Fahrräder: 6
Opelhochhaus-AudiMax (Aufstellfläche Opelhochhaus nach Süden):
über 10 Fahrräder: 106
über 20 Fahrräder: 7
über 30 Fahrräder: 5
Das bedeutet, für mindestens 15 Fahrräder muss der Platz auf beiden Seiten in jedem Fall dimensioniert sein, da sich die Belastung in 30 % (Nord-Süd) bzw. 40 % (Süd-Nord) der Rotphasen in dieser Größe bewegt. Diese Belastungen ergeben sich über den gesamten Tag verteilt, nicht nur in Stoßzeiten. Der Fahrbahnteiler muss mindestens 30 gleichzeitig querende Räder bewältigen können.
B – Radverkehrsströme
Die Stadt hatte sich geweigert, die Radverkehrsströme vor dem Umbau zu ermitteln bzw. der Öffentlichkeit Unterlagen hierzu zur Verfügung zu stellen.
Daher haben wir viele Arbeitsstunden investiert, um im November 2014 die Radverkehrsströme selbst zu ermitteln. Die konkreten Daten können bei uns nachgefragt werden.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Insgesamt wurden 12 kreuzungsquerende Radverkehrsströme erfasst, dazu weitere 10 Ströme zu- und abfließender Verkehr. Der nordseitige Verkehr an der Berliner Straße zwischen Weender Tor und Kreuzung Godehardstraße wurde aus den übrigen Werten deduziert. Weitere 6 zu- und abfließende Ströme auf der Südseite der Kreuzung wurden im November 2014 nicht erfasst. Dort befanden sich Baustellen, die die natürliche Streckenwahl einschränkten.
Unter Berücksichtigung von öffentlich zugänglichen Daten aus bestehenden Induktionsschleifen konnten wir sowohl tageszeitbedingte als auch saisonal bedingte Effekte aus unseren Zahlen herausrechnen, die wir durch Verkehrszählungen an der Weender Tor-Kreuzung ermittelt haben. Es errechnete sich dadurch ein Jahresdurchschnittswert (Fahrräder pro Tag), der hier in den Tabellen wiedergegeben wird.
Die tatsächliche Anzahl der Fahrräder an der Kreuzung ist stark tageszeit- und semesterabhängig. Als Faustregel kann gelten, dass im Semester an Werktagen zwischen 7 und 20 Uhr etwa die doppelte Anzahl Fahrräder die Strecken befährt als in den Tabellen angegeben.
Abkürzungen der Positionen:
Amtsgericht = Nordwestseitiges Ziel am Iduna-Zentrum südseitig vorbei
AudiMax = Südostseitige Kreuzungsposition Weender Tor
Goßlerstraße = Ostseitiges Ziel nordseitig Nikolausberger Weg
Bahnhof = Westseitiges Ziel nordseitig der Berliner Straße
Friedhof = Nordseitiges Ziel westseitig Weender Landstraße
Iduna = Nordwestseitige Kreuzungsposition Weender Tor
Insel = Verkehrsinsel zwischen Iduna und Opelhochhaus
Neuaufstellung = die neue Markierung östlich der Verkehrsinsel für Radverkehr nach Süden
Opelhochhaus = Nordostseitige Kreuzungsposition Weender Tor
Savoy = Westseitiges Ziel südseitig der Berliner Straße
SUB = Staats- und Uni-Bibliothek (ostseitig Fitness-Zentrum)
Tankstelle = Nordseitiges Ziel ostseitig Weender Landstraße
Vapiano = Südwestseitige Kreuzungsposition Weender Tor
W.Weber-Straße = Ostseitiges Ziel südseitig Nikolausberger Weg
AudiMax-Opelhochhaus |
4346 |
legal |
Opelhochhaus-AudiMax |
2655 |
illegal |
Iduna-Insel (nord)-Opelhochhaus |
571 |
illegal |
Iduna-Insel (süd)-Opelhochhaus |
777 |
legal |
Opelhochhaus-Insel-Iduna |
1649 |
legal |
Opelhochhaus-Neuaufstellung |
551 |
legal |
Opelhochhaus-Insel-Vapiano |
92 |
legal |
Iduna-Insel-Vapiano |
690 |
legal |
Vapiano-Insel-Iduna |
283 |
illegal |
AudiMax-Insel |
76 |
legal |
Vapiano-AudiMax |
441 |
legal |
AudiMax-Vapiano |
59 |
illegal |
Summe Kreuzungsquerungen |
12190 |
|
davon illegal |
3568 |
(29 %) |
Opelhochhaus-Tankstelle |
4629 |
legal |
Tankstelle-Opelhochhaus |
2896 |
illegal |
Iduna-Friedhof |
248 |
illegal |
Friedhof-Iduna |
1295 |
legal |
Amtsgericht-Iduna |
166 |
illegal |
Iduna-Amtsgericht |
119 |
illegal |
SUB-Opelhochhaus |
1500 |
halblegal |
Opelhochhaus-SUB |
424 |
halblegal |
Goßlerstraße-Opelhochhaus |
1487 |
legal |
Opelhochhaus-Goßlerstraße |
310 |
legal |
AudiMax-W.Weber-Straße |
913 |
legal |
W.Weber-Straße-AudiMax |
151 |
illegal |
Bahnhof-Iduna |
1826 |
legal |
Iduna-Bahnhof |
2484 |
legal |
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